ARTIST STATEMENT

Eine Stellungnahme zum Thema der künstlerischen Kreativität

Die folgenden Überlegungen basieren auf meiner Arbeit in Rahmen eines Forschungsprojekts, das sich mit der Psychologie der Kreativität bei Künstlerpersönlichkeiten beschäftigte. Als Ausgangspunkt diente mir eine zweiteilige „Standarddefinition“: Kreativität erfordert sowohl Originalität als auch Effektivität. Wenn etwas nicht ungewöhnlich, neu oder einzigartig ist, dann ist es alltäglich, banal, konventionell, also nicht originell und somit auch nicht kreativ. Originalität allein ist aber wiederum nicht hinreichend: Ideen und Produkte, die originell sind, können auch wirkungslos und gerade deswegen einzigartig sein. Daher müssen originelle, ungewöhnliche (Kunst-)Werke auch effektiv sein, um in einem wissenschaftlichen Sinne kreativ genannt werden zu können. Diese Effektivität zeigt sich in einer auch für andere Sinn stiftenden Wirkung.

Auch künstlerische Kreativität beruht „zu gleichen Teilen auf der Freude an Wirksamkeit und der Vorliebe für Neues“, wie es der US-amerikanische Kreativitätsforscher und Psychoanalytiker John E. Gedo in seinem Buch „The Artist and the Emotional World“ betont. Dabei tritt das Ästhetische, das proportional Gelungene in den Hintergrund, sodass dem Konflikthaften, dem Irritierenden, dem auf der unbewussten Ebene Wirkenden mehr Raum und Bedeutung gegeben werden kann. Der entscheidende Faktor ist dabei, dass diese Wirkung des Kunstobjekts auch eine kulturelle Relevanz hat.

Ein kreatives Individuum wird zu einem Künstler, indem es ihm gelingt, zwischen der eigenen inneren und der äußeren Realität zu vermitteln und gleichsam einen intermediären Raum – das Kunstwerk – herzustellen. Dieses bekommt aber seine wahre Entfaltung erst im Kontext einer intersubjektiven Rezeption, denn spätestens seit dem Anfang des letzten Jahrhunderts „werden Kunstwerke zu ‚Kryptogrammen‘ […] des Sozialen“ (Clemenz, 2010). Diese Entwicklung in der bildenden Kunst steigert die Bedeutung der Form im Gegensatz zum Inhalt eines Werks erheblich. Insbesondere kommt dies zum Vorschein in abstrakt konzipierten Kunstformen, man betrachte hier z. B. Kasimir Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ oder Gerhard Richters „Birkenau“. Dies führt auch dazu, dass die Bewertung eines Werkes als „Kunst“ in Sinne eines kulturellen Phänomens prinzipiell interaktiver Natur ist, indem kompetente Rezipienten (Museen, Galerien, Fachmedien) über die kulturelle Relevanz einer kreativen Leistung urteilen (Clemenz, 2010).

Worauf basiert aber die Fähigkeit zu Kreativität? Diese ist aus meiner Sicht wie folgt zusammenzufassen: Wenn ein Individuum etwas Neues kreiert, das (1.) nicht nur eine Abbildung des Eigenen (oder gar des Äußeren) ist, sondern eine transformative Übersetzung dessen ins allgemein Menschliche darstellt, (2.) im Laufe eines dekonstruktiv-schöpferischen Prozesses entsteht und (3.) beim Erreichen eines Publikums dieses beansprucht, seine bewussten oder unbewussten Inhalte anzusprechen – dann lässt sich ein Kunstwerk im Sinne einer künstlerischen, kulturell relevanten Kreativität verstehen.

Ein kreativer Prozess benötigt eine, wenn auch vorübergehende, Auflösung bestehender Denk- und Formlösungen, um eine neue Form mit eigenem Inhalt zu füllen und nicht bloß zur Reproduktion bereits vorhandener Gestaltungsformen zu greifen. Es findet ein Oszillieren zwischen realitäts- und regressionsbezogenen Modi der psychischen Verfassung statt, welches nicht nur komplex ist – und somit anfällig für Ausfälle –, sondern auch eine große Hingabe verlangt.

Weiterhin gehört zur schöpferischen Kraft die Stärke, „den ganzen Kram nicht in den Papierkorb zu werfen“ (Ehrenzweig, 1967), denn in der letzten Phase des schöpferischen Tuns springen plötzlich „die übersehenen Brüche und das scheinbare Chaos der Undifferenziertheit ins Bewusstsein“ (ebd.) und die unabhängige Existenz des Kunstwerks wird spürbar. Es verhält sich wie ein lebender Mensch, mit dem wir ein Gespräch führen. Es findet also eine intensive Auseinandersetzung zwischen dem Kunstschaffenden und seinem Werk statt, wobei der Konflikt zwischen der beobachtbaren Brüchigkeit der Oberflächen im Werk und der empfundenen Unvollständigkeit in der Ausarbeitung einerseits sowie der trotzdem als kohärent empfundenen Ganzheit andererseits zu einer guten Objektbeziehung zu dem erschaffenen Kunstobjekt führt bzw. führen sollte. Der Schaffungsprozess beinhaltet dabei eine Kommunikation zwischen dem Künstler und seinem Kunstobjekt.

Eine schöpferische Produktion, also gelungene Sublimierung, kann (und soll!) es jemandem ersparen, übertrieben hart und somit energieaufwändig auf die Gegebenheiten der äußeren Welt zu reagieren, und zwar weil Spannungen gerade in der schöpferischen Produktivität aufgrund dessen transformativen Charakters nachlassen und das innerlich beunruhigende das Konflikthafte, das den psychischen Binnenraum belastet hat, wenigstens zeitweise gelöst wird. Abschließend verweise ich auf ein Zitat von Niki de Saint Phalle, die künstlerische Kreativität treffend mit der sublimatorischen Funktion des Schöpfertums in Verbindung setzt:
„Ich umarmte die Kunst als meine Erlösung und Notwendigkeit“
(zitiert nach Schulz-Hoffmann, 1987)

Atelier von Elvira Peroni